1. Grundlegende Ziele der Revision
Am 17. Juni 2010 wurde die Motion „Für ein zeitgemässes Erbrecht“ im Ständerat eingereicht. Mit der Motion wurde der Bundesrat beauftragt, das nicht mehr zeitgemässe Erb-/Pflichtteilsrecht flexibler auszugestalten und es den stark geänderten familiären und gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Das laut Bundesrat am 1. Januar 2023 neu inkrafttretende Erbrecht hat unter anderem zur Folge, dass Erblasserinnen und Erblasser künftig über einen grösseren Teil ihres Nachlasses verfügen können. Zum einen ist das revidierte Erbrecht flexibler ausgestaltet als das alte, zum anderen bietet es dem Erblasser dadurch einen grösseren Gestaltungsspielraum. Die wichtigsten Änderungen dabei sind:
- Den Kindern des Erblassers steht neu nur noch die Hälfte des Erbes als Pflichtteil zu.
- Der Pflichtteil der Eltern des Erblassers entfällt hingegen ganz.
- Der Pflichtteil der Ehegatten im Scheidungsverfahren wird begrenzt.
- Die verfügbare Quote bei Nutzniessungen des Ehegatten wird erhöht.
- Des Weiteren wird eine Härtefallregelung für faktische Lebenspartner geschaffen, welche vom Erblasser nicht bedacht wurden.
Diese grundlegenden Änderungen haben zur Folge, dass neuerdings auch eingetragene Partnerinnen und Partner vermehrt mittels Testament und Erbvertrag begünstigt werden können. Ziel der Revision war es zudem, die Nachfolgeregelung in Familienunternehmen zu erleichtern, sodass die Stabilität innerhalb von Familienunternehmen positiv beeinflusst wird.
Beispiel 1: Erblasser mit Tochter, Sohn und Konkubinatspartner
Der Erblasser kann neu frei über 50% (vorher 25%) seines Vermögens verfügen, weil jedes Kind als Pflichtteil zwingend nur noch 25% (vorher 37.5%) des Erbes erhält. Entsprechend ergeben sich für den Erblasser folgende Verfügungsmöglichkeiten:
- Die Tochter wird meistbegünstigt und erhält bis zu 75% des Erbes, der Sohn wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält minimal 25% des Erbes oder umgekehrt;
- Die Tochter und der Sohn werden auf den Pflichtteil gesetzt und erhalten je minimal 25% des Erbes, die Lebenspartnerin erhält hingegen maximal 50%.
Beispiel 2: Erblasserin mit Ehepartner, Tochter und Sohn
Die Erblasserin kann neu über bis zu 50% ihres Vermögens frei verfügen. Der Ehepartner erhält zwingend mindestens 25% des Erbes. Jedes der beiden Kinder soll nur noch mindestens 12.5% des Erbes erhalten. Entsprechend ergeben sich für die Erblasserin folgende Verfügungsmöglichkeiten:
- Der Ehegatte erhält bis zu 75% des Erbes und die Tochter sowie der Sohn werden auf den Pflichtteil gesetzt und erhalten somit je 12.5% des Erbes;
- Die Tochter erhält 62.5% des Erbes. Der Ehegatte sowie der Sohn werden auf den Pflichtteil gesetzt. Der Ehegatte erhält demnach 25% des Erbes, der Sohn hingegen 12.5%;
- Der Sohn erhält 62.5% des Erbes. Der Ehegatte wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 25% des Erbes und die Tochter wird ebenfalls auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 12.5%;
- Der Ehegatte wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 25% des Erbes, die Tochter und der Sohn werden beide auf den Pflichtteil gesetzt und erhalten je 12.5%. Das Stiefkind resp. ein Dritter erhält 50% des Erbes.
2. Anpassung von bestehenden Erbverträgen und Testamenten
Fraglich erscheint also, ob bereits erstellte Testamente oder Ehe- und Erbverträge infolge des revidierten Erbrechtes an die bestehenden Verhältnisse angepasst werden müssen oder so belassen werden können.
Entscheidend für bestehende Testamente und Ehe- und Erbverträge ist nicht, wann das fragliche Dokument errichtet wurde, sondern vielmehr, wann der Erblasser verstirbt. Verstirbt der Erblasser vor dem 1. Januar 2023 und damit vor dem Inkrafttreten des revidierten Erbrechtes, finden die altrechtlichen Bestimmungen auf dessen Erbe Anwendung. Stirbt der Erblasser hingegen nach dem Datum des Inkrafttretens, findet das neue Erbrecht auf die Erbmasse Anwendung. Dies gilt unabhängig davon, ob vor dem Versterben ein Testament oder ein Erbvertrag errichtet wurde oder nicht. Zentral ist dabei jedoch, dass sich der Erblasser schon heute bewusst ist, dass sich die Pflichtteile allfälliger Kinder, Ehegatten und Eltern ab dem 1. Januar 2023 ändern werden und demnach noch tiefer in einem allfälligen Testament angesetzt werden können. Um ein allfällig langwieriges Gerichtsverfahren zu vermeiden, ist zu empfehlen, bestehende Verfügungen von Todes wegen schon jetzt im Lichte der Erbrechtsrevision überprüfen zu lassen.
Unsere erfahrenen Anwälte der Stach Rechtsanwälte AG stehen Ihnen dazu gerne zur Verfügung.