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Bundesgericht stellt für das mündliche Strafverfahren wesentliche Grundsätze klar

In seinem Entscheid vom 10. Januar 2019 (6B_1330/2017) stellte das Bundesgericht fest, dass das vorinstanzliche Verfahren zwingendes Recht verletzte.In seinem Entscheid stellte das Bundesgericht einige für das mündliche Strafverfahren wesentliche Grundsätze klar.

Die Berufungsverhandlung beschränkte sich neben der Bekanntgabe der Zusammensetzung des vorinstanzlichen Spruchkörpers und der Feststellung der Anwesenheit der vorgeladenen Parteien auf die Parteivorträge und das letzte Wort des Beschwerdeführers. Ein derartiges Vorgehen verletzt gemäss dem Bundesgericht zwingendes Prozessrecht. Es genüge den gesetzlichen Anforderungen einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht und sei auch mit dem im Berufungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz der Strafbehörden nicht vereinbar, hielt das Bundesgericht fest.Das mündliche Berufungsverfahren könne nicht auf ie Vorträge der Parteivertreter reduziert werden. Das Beweisverfahren mit der Anhöhrung der beschuldigten Person bilde den Inbegriff der Haupt- und Berufungsverhandlung, so das Bundesgericht weiter. „Wird kein Beweisverfahren durchgefèhrt, ist das konradiktorische, mündliche Verfahren seiner Substanz und seines Zweckes beraubt“, argumentiert das Bundesgericht.Das Bundesgericht hielt schliesslich fest, dass auf die gerichtliche Befragung der beschuldigten Person zur Anklage und zu den Ergebnissen des Vorverfahrens auch im mündlichen Berufungsverfahren nicht verzichtet werden könne.

Gemäss Bundesgericht hätte das Obergericht den Beschwerdeführer von Amtes wegen aufgrund seiner richterlichen Fürsorgepflicht befragen und ihm die Möglichkeit einräumen müssen, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äussern und diejenigen Umstände vorzubringen, die seiner Verteidigung und der Klärung des Sachverhalts dienen könnten, um den gesetzlichen Anforderungen eines Berufungsverfahrens zu genügen. Von einer Befragung hätte allenfalls dann abgesehen werden können, wenn der Sachverhalt unbestritten und nicht angefochten gewesen wäre, was vorliegend nicht der Fall war.

Das Bundesgericht hat auch gerügt, dass der Vorsitzende im Verfahren vor Obergericht den Beschuldigten in seinem Schlusswort unterbrochen und zur Kürze angehalten hat: „Aus dem Protokoll der Berufungsverhandlung (…) ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des letzten Wortes deutlich zum Ausdruck gebracht hat, sich zur Sache (umfassend) äussern zu wollen, ihm dies durch die Verfahrensleitung jedoch nicht gestattet wurde. Vielmehr wurde er angehalten, sich „kurz“ zu fassen.“ Das Verhalten der Vorinstanz erweise sich als widersprüchlich. Denn mit der Durchführung des mündlichen Berufungsverfahrens habe sie zum Ausdruck gebracht, dass die Anwesenheit der beschuldigten Person erforderlich sei. Dass das Obergericht den Beschuldigten dann aber weder zur Person noch zur Sache und dem bisherigen Verfahren befragt und bei der Wahrnehmung des Rechts auf das letzte Wort zur Kürze angehalten hat, sei mit dem Sinn und Zweck der Durchführung einer (ergebnisoffenen) Berufungsverhandlung nicht vereinbar. 

Weiter stellte das Bundesgericht fest, dass der Verzicht der Vorinstanz, die Expartnerinnen des zu befragen, sich in mehrfacher Hinsicht als rechtsfehlerhaft erweise. Der Verteidiger des Beschwerdeführers stellte in seiner Berufungserklärung vom 21. März 2017 eine Vielzahl von Beweisanträgen. Er beantragte insbesondere die Konfrontationseinvernahme der Expartnerinnen. Nach Auffassung des Bundesgerichts erwies sich die Begründung der Vorinstanz, mit der die beantragte Einvernahme der Privatklägerinnen verwarf, als bundesrechtswidrig: „Den Einlassungen der Privatklägerinnen als Hauptbelastungszeuginnen kommt (…) grundlegende Bedeutung zu, weshalb deren gerichtliche Einvernahme (…) wie üblicherweise tbei typischen „Vier-Augen-Delikten“ erforderlich ist. Ist die unmittelbare Kenntnis eines Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig i.S.v. Art. 343 Abs. 2 StPO, hat das Gericht den Beweis zwingend abzunehmen.“ Weil nicht nur das Obergericht, sondern bereits die erste Instanz darauf verzichtete, die Privatklägerinnen gerichtlich einzuvernehmen, beurteilte das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid als rechtsvehlerhaft.

Das Urteil des Bundesgerichts finden Sie hier: Urteil des Bundesgericht vom 10. Januar 2019 (6B_1330/2017)

Den Artikel im St.Galler Tagblatt vom 25. Januar 2019 zum Urteil finden Sie hier:

Bundesgericht hebt Thurgauer Urteil auf (St.Galler agblatt 25. Januar 2019) (215.9 KB)

Michael Kummer
Michael Kummer
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