Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer besagt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses Schutz und Fürsorge zuteil werden lässt und dessen berechtigte Interessen in guten Treuen wahrt (BSK OR-Portmann/Rudolph, Art. 328, N1).
Wie bei vertraglichen Verstössen die Norm, wird eine Vertragspartei schadenersatz- und genugtuungspflichtig, wenn sie ihre vertraglichen (Neben-) Pflichten nicht erfüllt. Dies ist beim Arbeitgeber z.B. dann der Fall, wenn er nicht die gebotenen Massnahmen zum Schutz seiner Arbeitnehmer (insb. auch vor anderen Arbeitnehmern) ergreift. Während dabei der Schadenersatz Ausgleich für einen erlittenen finanziellen Nachteil schaffen und ein Opfer dahingehend „schadlos“ halten soll, stellt die Genugtuung eine Art Schmerzensgeld für physische oder psychische Schmerzen dar. In einem früheren Beitrag (Link zum Beitrag) haben wir uns mit Genugtuungen in Straffällen befasst, in denen zu Unrecht Beklagte (und folglich Freigesprochene) bescheidene (gem. Gericht jedoch „eher grosszügige“) CHF 3‘500.- für eine 11.5 Jahre andauernde Verhörs-, Durchsuchungs-, Untersuchungs- und Gerichtsodyssee oder lachhafte CHF 500.- für ein fast sechs Jahre andauerndes Verfahren, zugesprochen erhielten.
Sich über die Höhe allfälliger Genugtuungen Gedanken zu machen reicht jedoch noch nicht aus. Was wir brauchen, ist eine objektive, nachvollziehbare und konsequente Handhabung von Seiten der Gerichte. Und damit kommen wir zum eigentlichen Kernthema dieses Beitrags: Genugtuungen bei Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber.
Genugtuungen setzen voraus, dass die Persönlichkeitsverletzung objektiv eine gewisse Schwere aufweist und dass die seelischen Leiden des Opfers subjektiv als so schwer empfunden werden, dass es unter den gegebenen Umständen als legitim erscheint, eine Genugtuung zu beanspruchen (BSK OR-Portmann/Rudolph, Art. 328, 53b). Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar in Fällen, bei denen besonders (ausländische) Hausangestellte aufs gröbste ausgenutzt oder sogar unter sklavenähnlichen Bedingungen gehalten werden. Dazu zwei Beispiele:
- Der Arbeitgeber einer ghanesischen Hausangestellten, welche 50 Stunden die Woche für Kost und Logis sowie einen Lohn von monatlich CHF 300.- arbeiten musste, wurde strafrechtlich verurteilt. Der ghanesischen Hausangestellten wurde dabei eine Genugtuung von CHF 3‘000.- zugesprochen (BGE 130 IV 106).
- Einer minderjährigen portugiesischen Hausangestellten, welche während 13 Monaten ohne Geldlohn, Frei- oder Ferientage oder eigenes Zimmer angestellt war, regelmässig dreizehnstündige Arbeitstage bestritt und weder die Erlaubnis zum Ausgehen oder Fernsehen oder die Möglichkeit, die örtliche Sprache zu erlernen, bekam, erhielt vom Gericht eine Genugtuung von CHF 12‘000.- zugesprochen (BGer 4C.94/2003).
Auch bei schweren Mobbing- oder Stressfällen, die zu anhaltenden gesundheitlichen Schäden bis hin zur Arbeitsunfähigkeit führten, sind höhere Genugtuungssummen nicht nur legitim, sondern viel eher angebracht. Ein nennenswerter Fall:
- Eine Ausbildnerin hatte die Aufgabe, zehn Verkaufsberaterinnen zu rekrutieren und zu betreuen und pro Beraterin einen Umsatz von CHF 7’000.-, insgesamt also CHF 70’000.-, zu generieren. Dabei wurden sie und ihre angestellten Beraterinnen ständig ermahnt, ihre Anstrengungen zur Kundenakquisition zu erhöhen. Dieser Zwang und die damit einhergehende andauernde ständige Überbeanspruchung führten dazu, dass die Ausbildnerin an einer schweren Depression erkrankte und in der Folge arbeitsunfähig wurde. Die Arbeitgeberin wurde zu Schadenersatz und zusätzlich zu einer Genugtuung von CHF 10’000.- verurteilt (BGer 4C.24/2005).
Immer wieder werden aber Genugtuungen auch in Fällen zugesprochen, die in keinem Vergleich zu den hier vorgestellten Fällen stehen. Dabei wird insbesondere vom Wort „Mobbing“ übermässig Gebrauch gemacht oder eine Verletzung der Fürsorgepflicht allzu voreilig bejaht.
Mobbing hat am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Arbeitgeber, die ihre Fürsorgepflicht nicht ernst nehmen und im Wissen um Mobbing oder unhaltbaren Verhaltens unter Mitarbeitern in ihren Arbeitsstätten keine angemessenen Gegenmassnahmen ergreifen, sollten die Konsequenzen für ihre Unterlassung tragen müssen.
Es darf aber nicht vergessen werden, dass für finanzielle (Folge-) Schäden der Schadenersatz zum Tragen kommt und eine Genugtuung in der Schweiz, wie wir oben gesehen haben, grundsätzlich nur in schweren Fällen (entsprechend der Schwere) zugesprochen wird und werden sollte. Ob das gut oder gerecht ist, soll hier nicht diskutiert werden. Vielmehr wird dafür plädiert, dass eine kohärente und einheitliche Skala zu schaffen versucht werden sollte, die über die Grenzen des Zivilrechts auch das Straf- und Verwaltungsrecht miteinschliesst. Denn letztendlich dient eine Genugtuung der Wiedergutmachung für seelischen oder körperlichen Schmerz. Und den gibt es überall wo Menschen involviert sind – unabhängig vom Rechtsgebiet.
Noch weiter geht die Kritik an der Genugtuungspraxis allerdings dann, wenn Genugtuungszahlungen dafür missbraucht werden, klageführende Opfer schadlos zu halten und deshalb – insb. im Vergleich zu den vorgestellten Fällen – viel zu hoch angesetzt werden. So kommt es vor, dass Genugtuungen über mehrere Tausend Franken auch in Fällen von leichten Verstössen gegen die Fürsorgepflicht ausgesprochen werden. So wurde bspw. einer Klägerin eine Genugtuung in der Höhe von CHF 3‘000.- zugesprochen, weil ihre Persönlichkeit nach Ansicht des Gerichts im Rahmen dreier Vorfälle widerrechtlich verletzt wurde, nämlich:
- als die Klägerin von einer Arbeitskollegin angeschrien wurde und diese zusätzlich sagte, dass sie die Klägerin hasse;
- als die Klägerin von zwei Arbeitskolleginnen an einer Sitzung ausgelacht wurde, während die eine einen Ausbruch hatte und die Klägerin weinend die Sitzung verliess; und
- als dieselben zwei Arbeitskolleginnen die Klägerin während einer Woche ignorierten und nebst „Guten Morgen“ oder „Ciao“ nicht mit der Klägerin sprachen;
und die Arbeitgeberin nichts oder zu wenig dagegen unternahm.
Dass die Genugtuung der im Rechtsstreit zu 80% unterlegenen Klägerin im beschriebenen Fall genau der Höhe der Parteientschädigung (Entschädigung an die obsiegende Partei für deren Anwaltskosten) entspricht, welche diese der beklagten Partei zu entrichten hatte, ist dabei wohl kein Zufall. Mit diesem parteilichen Entscheid verhinderte das Gericht, dass die unterlegene Klägerin weitere Kosten zu tragen hat und die Verhandlung für sie in einem Nullsummenspiel endete. Wenn nun also Genugtuungen als Instrument für eine parteiliche Rechtsprechung missbraucht werden, ist es an der Zeit, eine einheitliche Genugtuungspraxis zu finden, welche nicht nur für mehr Rechtssicherheit sorgt, sondern auch parteilichen Urteilen entgegensteuert.
Gerne unterstützen wir auch Sie bei Ihren Anliegen rund um die Fürsorgepflicht sowie in allen weiteren arbeitsrechtlichen Belangen. Sie können gerne jederzeit mit unseren Spezialisten Kontakt aufnehmen.