Arbeitszeugnisse sind aus dem Berufsleben nicht mehr wegzudenken. Sie dienen einerseits dem Arbeitnehmer als Leistungsausweis und Beleg für die fachlichen Fertigkeiten und persönlichen Eigenschaften sowie das Verhalten am Arbeitsplatz. Andererseits helfen sie Arbeitgebern im Bewerbungsprozess, indem sich die Entscheidungsträger auf Basis der Erfahrungen ehemaliger Arbeitgeber ein besseres Bild über die Bewerber machen können. So zumindest die Idee hinter Arbeitszeugnissen.
Es stellen sich nun in der Praxis jedoch die Fragen, ob sich Arbeitgeber wirklich auf Arbeitszeugnisse verlassen können oder ob diese nicht vielfach (zu) stark geschönt sind und deshalb zu unliebsamen Überraschungen führen können. Dieser Beitrag beleuchtet die Problematik (allzu) wohlwollender und letztlich wahrheitswidriger Arbeitszeugnisse.
Die Arbeitgeberin hat dem Arbeitnehmer aufgrund ihrer Fürsorgepflicht gemäss Art. 330a OR auf dessen Verlangen ein Arbeitszeugnis auszustellen. Dieses Recht kann ein Arbeitnehmer nicht nur im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausüben, sondern bereits während der Anstellung (sog. Zwischenzeugnis) oder auch noch bis zehn Jahre nach der Beendigung.
Bei Arbeitszeugnissen wird unterschieden zwischen einem sogenannten Vollzeugnis oder qualifizierten Zeugnis, welches dem Normalfall eines Arbeitszeugnisses entspricht, und einer Arbeitsbestätigung, welche auf Wunsch des Arbeitnehmers anstelle eines Vollzeugnisses auszustellen ist. Im Gegensatz zu einer Arbeitsbestätigung, welche nur Auskunft über die Art und Dauer eines Arbeitsverhältnisses gibt, enthält ein qualifiziertes Zeugnis zusätzlich Angaben zu den Leistungen und dem Verhalten des Arbeitnehmers. Ein vollständiges Arbeitszeugnis enthält also neben Personalien, Funktion, Tätigkeitsbeschreibung, Dauer der Anstellung und Qualität der abgelieferten Arbeit alle für eine ausreichende Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers notwendigen Angaben samt wesentlichen Tatsachen und Bewertungen (BSK OR-Portmann/Rudolph, Art. 330a, N 3 f.). Bezüglich des Verhaltens und der Persönlichkeit eines Arbeitnehmers ist von besonderer Bedeutung, wie sich dieser in seine Umgebung einzufügen vermochte. Zu erwähnen sind dabei Kriterien wie Teamfähigkeit, Loyalität, Vertrauenswürdigkeit oder Einstellung gegenüber Vorschriften am Arbeitsplatz. Es handelt sich dabei um einstellungsrelevante Angaben, die nicht der eigentlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zuzuordnen sind (Etter, Der Charakter des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund, in: SSA, Band 81, N 256).
Unabhängig von seiner Form und seinem Umfang, hat jedes Arbeitszeugnis zwei wesentlichen Anforderungen zu entsprechen, die sich in gewissen Fällen (zu) widersprechen (scheinen). So muss ein Arbeitszeugnis einerseits objektiv gesehen wahr sein und andererseits ergibt sich aus der Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin, dass es gleichzeitig „wohlwollend“ zu formulieren ist, um das wirtschaftliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht zu beeinträchtigen.
Damit sich eine zukünftige Arbeitgeberin anhand des Arbeitszeugnisses jedoch ein effektives Bild über einen potentiellen Arbeitnehmer machen kann und die aktuelle Arbeitgeberin ihrer Wahrheitspflicht nachkommt, darf und muss ein Zeugnis auch für den Arbeitnehmer ungünstige Tatsachen und Beurteilungen enthalten, sofern das Fehlverhalten für den Arbeitnehmer charakteristisch ist (Etter, a.a.O., N 257). Das hat auch das Bundesgericht so festgehalten. Es entschied, dass eine Arbeitgeberin der Wahrheitspflicht nur dann nachkommt, wenn das Zeugnis bezüglich der Leistungen des Arbeitnehmers auch negative Tatsachen erwähnt, soweit diese für die Gesamtbeurteilung erheblich sind (BGE 136 III 510). Das heisst aber auch, dass einmalige Vorfälle und für den Arbeitnehmer nicht charakteristische Umstände nicht in ein Arbeitszeugnis aufzunehmen sind. Ausserdem muss eine Arbeitgeberin in der Lage sein, ihre Kritik belegen zu können, wenn sie die Leistungen des Arbeitnehmers negativ im Zeugnis festhalten möchte (BSK OR-Portmann/Rudolph, Art. 330a, N 4 ff.). Dies gelingt ihr etwa durch das regelmässige Ausfüllen von Beurteilungsbögen und Mitarbeiterevaluationen oder einfach durch schriftliche Notizen.
Die vorhin angesprochene zweite Anforderung an ein Arbeitszeugnis, die wohlwollende Formulierung, wird oft viel zu breit (etwa: zu wohlwollend) ausgelegt. Das Erfordernis der wohlwollenden Formulierung stellt weder einen Freipass noch eine Pflicht für eine unrichtige Darstellung der wirklichen Verhältnisse dar. Sie gebietet nur, dass sich eine Arbeitgeberin bezüglich der Verhaltensbeurteilung im Rahmen des verkehrsüblichen Massstabs innerhalb ihres Ermessens wohlwollend zu verhalten hat (Etter, a.a.O., N 257). Verhaltensweisen, welche für den Betrieb störend waren, sind somit ins Arbeitszeugnis aufzunehmen und lediglich in wohlwollender Weise zu umschreiben. So können einige Eigenschaften gemäss Literatur z.B. wie folgt umschrieben werden: „Sie hatte Mühe, Weisungen ihrer Vorgesetzten zu befolgen“, „für berechtigte Kritik war er oftmals nicht zugänglich“, „ihr Temperament verunmöglichte teilweise eine sachliche Diskussion“, „gegenüber Vorgesetzten trat er sehr selbstsicher auf“ oder „sein Verhalten führte diverse Male zu Konflikten mit Mitarbeitern“ (Etter, a.a.O., N 261). Das Erfordernis der wohlwollenden Formulierung befreit also nicht davon, negative und für den Arbeitnehmer ungünstige Umstände zu erwähnen, resp. verlangt vom Arbeitgeber nicht, solche Umstände vollständig zu verschweigen. Es gebietet einzig, dass diese Umstände auf eine wohlwollende Art und Weise wiederzugegeben sind.
Auf keinen Fall kann ein Arbeitnehmer verlangen, dass bestimmte von ihm gewünschte Floskeln, wie etwa Dankesworte, Zukunftswünsche oder Aussagen wie „er verlässt die Firma frei von jeder Verpflichtung“ Eingang in ein Arbeitszeugnis finden (BSK OR-Portmann/Rudolph, Art. 330a, N 6 f.; Humbert/Thouvenin, Stolpersteine bei der Abfassung von Arbeitszeugnissen. In: TREX – Der Treuhandexperte, 2013, S. 100). Auch kann ein Arbeitnehmer nicht verlangen, dass in einem Arbeitszeugnis die Formulierungen „zu unserer vollsten Zufriedenheit“ oder „ausgezeichnete Beziehungen“ anstelle von „zu unserer Zufriedenheit“ oder „gute Beziehungen“ verwendet werden, sofern er seine überdurchschnittliche Leistung nicht belegen kann (BGer 4A_137/2014 E.4). Es gilt somit der Grundsatz, dass Wortwahl und Formulierung dem Arbeitgeber überlassen sind. Ein Arbeitgeber hat deshalb durchaus das Recht, einen eher prägnanten anstatt eines allzu empathischen Stils zu wählen (4A_117/2007, E. 7.1). Dieses Recht verstösst aber dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Formulierungen eingeweihten Lesern ein anderes, negativeres Bild als Aussenstehenden vermitteln und somit das Zeugnis codiert ist (BSK OR-Portmann/Rudolph, Art. 330a, N 7 mit Verweis auf BGer 2C_936/2012).
Nun kann es durchaus vorkommen, dass sich eine Arbeitgeberin in der Situation wiederfindet, in der sie einem Arbeitnehmer gerechtfertigterweise ein Arbeitszeugnis ausstellen möchte, welches sein wirtschaftliches Fortkommen möglicherweise nicht nur erschweren, sondern beinahe verunmöglichen würde. Aufgrund der breiten Auslegung des Erfordernisses der wohlwollenden Formulierung des Arbeitszeugnisses und dem Umstand, dass man das wirtschaftliche Fortkommen nicht zu sehr beeinträchtigen will, zeigt sich in der Praxis, dass Arbeitgeber zu Gunsten der Arbeitnehmer vermehrt klein beigeben, will heissen, einer Formulierung zustimmen, die letztlich nicht der Wahrheit entspricht resp. ein an sich charakteristisches Element einfach verschweigen. Dies hängt wohl in erster Linie damit zusammen, dass Arbeitgeber gerichtliche Auseinandersetzungen mit Arbeitnehmern vermeiden wollen. Schliesslich kostet sie ein (Schlichtungs-) Verfahren einiges an Zeit und Geld, während die Arbeitnehmer vielfach von einer Rechtsschutzversicherung profitieren und damit kein finanzielles Verfahrensrisiko tragen. Dazu kommt, dass Arbeitgeber damit nicht nur das gesamte Prozessrisiko tragen, sondern eigentlich gar nichts zu gewinnen haben.
Und obwohl sich eine Arbeitgeberin mit zu wohlwollenden und damit letztlich wahrheitswidrigen Arbeitszeugnissen in zweierlei Hinsicht, nämlich durch Klagen aufgrund missbräuchlicher Kündigung oder durch die Schadenersatzklage einer neuen Arbeitgeberin, möglichen Prozessrisiken aussetzt, sind diese Risiken in der Praxis als nicht sehr hoch einzustufen. Während zwar Anschuldigungen in Bezug auf eine missbräuchliche Kündigung vonseiten der Arbeitnehmer immer wieder vorkommen, ist eine Schadenersatzklage vonseiten einer neuen Arbeitnehmerin, die sich auf die (zu stark geschönten und somit wahrheitswidrigen) Angaben im Arbeitszeugnis verlassen und deshalb einen Schaden erlitten hat, äusserst selten.
Der Vollständigkeit halber ist dennoch darauf hinzuweisen, dass Arbeitgeber, welche sich den erwähnten Risiken erst im Nachhinein bewusst werden, Arbeitszeugnisse zurückverlangen können oder Dritte sogar warnen müssen, wenn die von ihnen ausgestellten Arbeitszeugnisse grob unrichtige Angaben enthalten oder einschneidende Vorkommnisse wie bspw. eine Veruntreuung verschweigen. So hat das Arbeitsgericht Zürich im Hinblick auf die Interessen des Rechtsverkehrs ein Rückforderungsgesuch einer Arbeitgeberin (Bank) gutgeheissen, die im Arbeitszeugnis Vermögensdelikte ihres Angestellten verschwiegen hat, obwohl ihr diese bei der Ausstellung des Zeugnisses bereits bekannt waren (BSK OR-Portmann/Rudolph, Art. 330a, N 11).
Es ist somit zusammenfassend festzuhalten, dass trotz der bundesgerichtlich festgehaltenen Rechte der Arbeitgeber die Wahrheitspflicht oftmals geradezu mit Füssen getreten wird und Arbeitnehmer nicht für ihr (Fehl-) Verhalten geradestehen müssen. Das Verhalten seiner Mitarbeiter ist für jeden Betrieb von entscheidender Bedeutung und jeder Arbeitnehmer ist für sein eigenes Verhalten verantwortlich. Negative Umstände werden schliesslich letztendlich durch einen Arbeitnehmer selbst verursacht und verantwortet. Es ist also nicht der Arbeitgeber, welcher in Wahrnehmung der Wahrheitspflicht einen solchen Umstand erwähnt und dadurch das wirtschaftliche Fortkommen eines Arbeitnehmers beeinträchtigt, sondern es ist der Arbeitnehmer selbst, der durch sein eigenes Verhalten sein wirtschaftliches Fortkommen erschwert. Es kann daher nicht sein, dass immer wieder geschönte oder verfälschte Arbeitszeugnisse in den Umlauf geraten, nur weil das wirtschaftliche Fortkommen eines Arbeitnehmers nicht beeinträchtigt werden soll, obwohl er dieses allein seinem eigenen Verhalten zuzuschreiben hat. Eine Arbeitgeberin steht in der Pflicht, der Wahrheit entsprechende Arbeitszeugnisse zu verfassen, die über sämtliche einstellungsrelevanten Umstände Auskunft geben. Zukünftige Arbeitgeber (und Arbeitskollegen) werden es Ihnen danken, wenn Sie Ihre Wahrheitspflicht ernst nehmen und andere Arbeitgeber dabei unterstützen, faule Äpfel bereits im Bewerbungsstadium herauszufiltern.
Gerne unterstützen wir auch Sie bei Ihren Fragen rund um das Thema Arbeitszeugnis sowie bei allen weiteren arbeitsrechtlichen Anliegen. Sie können gerne jederzeit mit unseren Spezialisten Kontakt aufnehmen.